Tiergestützte Pädagogik

Tiergestützte Pädagogik am Campus Klarenthal

« Der Kontakt mit Tieren fördert auf mannigfaltige Weise den Menschen. Vor allem die freie Begegnung mit dem Tier kann sowohl die körperlichen, seelischen, mentalen und die sozialen Talente des Menschen stärken ! » (Olbrich/ Otterstedt, 2007, S.65)

Hintergründe zur Tiergestützten Pädagogik im schulischen Setting

Die Tiergestützte Pädagogik basiert auf der Beziehungsanbahnung von Mensch und Tier. Tiere können in dieser Beziehung authentische Partner sein. Verschiedene Bedürfnisse, wie das Bedürfnis nach Nähe und Akzeptanz können im Tierkontakt erfüllt werden. Anders als unsere Mitmenschen werten Tiere nicht, was besonders für Kinder und Jugendliche, die vermehrt Ablehnung erfahren haben, eine wertvolle und stärkende Erfahrung darstellen kann.

Die Beziehungsanbahnung zwischen Kindern/Jugendlichen und Pädagog*innen ist Grundlage von funktionierender Schule, denn nur in einem Rahmen von funktionierenden und stabilen Beziehungen kann Lernen und somit Weiterentwicklung bei Kindern und Jugendlichen stattfinden. Die Tiere sind dabei in ihrer Authentizität die besten Brückenbauer und unterstützen die Entstehung und Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehungsebene im Beziehungsdreieck Kind/Jugendliche*r -Pädagog*in – Tier.

In Lernsettings, in denen Tiere im Einsatz sind, begünstigen diese oft einen Austausch zu Wünschen, Interessen und Erfahrungen. Gefühle können leichter zugelassen, thematisiert und gezeigt werden.

Tiere haben einen hohen Motivationscharakter, was dazu führt, dass Kinder und Jugendliche oft sehr konzentriert an Aufgaben und Tätigkeiten arbeiten sowie gemeinsam Verantwortung übernehmen und miteinander bei der Arbeit mit dem Tier kooperieren und mit Freude an ihrem Tun dabei sind.

Das übergeordnete Ziel der tiergestützten pädagogischen Arbeit ist, die positiven Erfahrungen und erworbene Handlungskompetenzen aus dem tiergestützten Setting dann auf andere Lebensbereiche zu übertragen.

Damit die tiergestützte Arbeit entwicklungsfördernd wirken kann, muss der Kontakt längerfristig und regelmäßig ermöglicht werden und es muss den Tieren zuallererst unbedingt gut gehen . Hierzu gehören eine artgerechte Haltung und damit einhergehend die Erfüllung aller ihrer Bedürfnisse (Futter, Platz, Ruhezonen, Beschäftigung, Tiergesundheit). Nur zufriedene und ausgeglichene Tiere können in der Mensch-Tier-Begegnung etwas abgeben.

Hunde, Hühner, Schafe sowie Esel und Pferde in der pädagogischen Arbeit

Am Campus Klarenthal leben und arbeiten inzwischen viele verschiedene Persönlichkeiten unserer tierischen Mitarbeiter.

Hunde

So werden in den Jahrgängen und Lerngruppen von Kinderhaus über Grundschule bis hin zur Oberstufe mehrere Schulhunde in Begleitung der jeweiligen Pädagog*innen eingesetzt: Mia, Balou, Joko, Percy, Camilla, Anton, Mila und Lio sind aus unserem Campus-Alltag nicht mehr wegzudenken.
Der Umgang mit den Vierbeinern fördert das soziale Lernen sowie die Empathiefähigkeit der Kinder und Jugendlichen, baut Ängste ab und steigert langfristig das Selbstwertgefühl. Das alles sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Lernen an der Schule gelingt. Rückmeldungen zeigen, dass die Kinder an „Hundetagen“ besonders motiviert zur Schule gehen.

Hühner

Eine kunterbunte Hühnerschar mit sehr unterschiedlichen Charakteren lebt ganzjährig in unserem weitläufigen Hühnergehege. Diese werden von den Kinderhaus-Kindern sowie Schüler*innen aus der Grundschule und Sek 1 versorgt. Es finden regelmäßig pädagogische Einheiten und Mensch-Tier-Begegnungen am Hühnergehege statt, in denen die Kinder und Jugendlichen den Tieren auf Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt begegnen können und allerhand Wissenswertes und Kurioses rund um die Hühner lernen und aktiv mitgestalten können.

Pferde

Wir sind sehr froh und dankbar, einmal wöchentlich Besuch von Krümel und Shouty von der Easy Horse Farm zu bekommen. Im Rahmen der Pferdewerkstatt mit der Reittherapeutin Bianca Braun lernen die Kinder im Umgang mit den Pferden, sich achtsam auf diese Wesen einzulassen, wobei unter anderem die Förderung eines positiven Miteinanders in der Gruppe, des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten, das Überwinden von Ängsten und auch die Stärkung von Einfühlungsvermögen im Beisein der Pferde wichtige Ziele dieser Einheiten sind.

Esel

Ein anderer ganz besonderer Moment ist der Besuch von den drei Eseln Emil, Urmel und Janosch vom Freudenberg einmal im Jahr, die dann für 2 Wochen auf unserer Campus-Wiese wohnen. In dieser Zeit verbringen Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Jahrgängen Zeit an der Eselweide und mit den drei Langohren, begleitet durch Maria Wippel und Udo Schläfer, die beiden Eselhalter*innen sowie verschiedene pädagogische Fachkräfte. Vom Kontaktaufbau und Kennenlernen beim Putzen und Streicheln über Spaziergänge durch Wald und Feld übers Filzen mit Eselhaar oder Lesen und Malen auf der Eselweide können die Kinder und Jugendlichen die drei Freunde kennenlernen, alles über ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse erfahren und mit ihnen Zeit verbringen.

Schafe

Seit dem Sommerfest 2024 gibt es das Projekt “Ein Schaf kommt selten allein!” mit Schafen am Campus Klarenthal, die auf dem Schulgelände ein festes Zuhause bekommen haben. Hier ein Link zur Einweihungsveranstaltung: https://www.evim.de/news-veranstaltungen/news-und-veranstaltungen/detail-meldungen/a-maeaeaehgical-place-schafprojekt-am-campus-klarenthal-eingeweiht/ . Über Schafpatenschaften werden Klassen und einzelne Kinder und Jugendliche feste Verantwortlichkeiten in der Versorgung und Betreuung der Tiere übernehmen. Ziel ist es, das Spektrum des tiergestützten Arbeitens am Campus zu erweitern und am Schafgehege darüber hinaus einen weiteren Draußen-Lernort zu schaffen. Die Arbeit mit den Schafen soll perspektivisch mit dem Erdkinderplan nach Maria Montessori verzahnt werden.

Wenn Sie Interesse an einer Patenschaft für eines unserer Schafe haben oder gern zeitlich bei der Versorgung der Tiere unterstützen möchten, melden Sie sich gern bei Katja Neinert unter katja.neinert@campus-klarenthal.de. Wir freuen uns noch über Unterstützung bei den Schafen!

Wissenschaftliche Hintergründe der Tiergestützten Pädagogik

Wissenschaftliche Hintergründe der Mensch-Tier-Beziehung und zur Wirkung der Tiergestützten Pädagogik

Der professionelle Einsatz von verschiedenen Tierarten im therapeutischen und pädagogischen Kontext hat in den vergangenen Jahren an Relevanz und Häufigkeit gewonnen und so hat sich auch die Studienlage zu den Wirkmechanismen Tiergestützter Interventionen verbessert. Hier sollen einige grundlegende Effekte und Wirkweisen der Mensch-Tier-Interaktion überblicksmäßig dargestellt werden.

Soziale Effekte

Die positiven Effekte der Mensch-Tier-Interaktionen sind durch verschiedene Studien belegt. So wirken Tiere als sogenannte „soziale Katalysatoren“. Dabei kann der Kontakt mit oder die bloße Anwesenheit eines freundlichen, dem Menschen zugewandten Tieres die Kommunikation und Interaktion zwischen den Menschen in der Situation verbessern. Der Kontakt gestaltet sich freundlicher, es wird mehr gelächelt und über Positives kommuniziert. Auch die soziale Aufmerksamkeit gegenüber anderen Menschen wird durch Tiere verstärkt. In Schulsettings wurde außerdem die Reduktion von aggressivem Verhalten im Beisein eines Tieres nachgewiesen. Die Anwesenheit eines Tieres bei guter Bindung zur Bezugsperson dieses Tieres steigert auch das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen in diese Bezugsperson (Beetz et al. 2021: 25, 26).

Psychologische Effekte

Darüber hinaus kann die Anwesenheit von Tieren die menschliche Konzentration und Motivation fördern – neben dem sozialen Miteinander und Vertrauen ebenfalls wichtige Grundsteine in der pädagogischen Arbeit am Campus Klarenthal. Der Tierkontakt hebt die Stimmung, mildert Depressionen und reduziert Angst  – gerade vor oder in stressauslösenden Situationen. Neuere Studien deuten sogar darauf hin, dass die Interaktion mit Tieren die Schmerzwahrnehmung verringert (Marcus et al., 2012). Auch finden sich bei Kindern, die mit Tieren Kontakt haben, höhere Empathiewerte (Hergovich et al., 2002).

Neurobiologische Effekte

Die Forschung zeigt, dass freundliche Tierkontakte positiv, also dämpfend auf die menschlichen Stress-Systeme wirken können. So sinken unter anderem Blutdruck, Herzfrequenz und die Konzentration des Stresshormons Kortisol. Das Oxytocin-System wird aktiviert, durch den Körperkontakt mit dem Tier wird vermehrt Oxytocin ausgeschüttet, das positiv und beruhigend auf den menschlichen Organismus wirkt (Beetz et al. 2021: 26; 31-32).

Biophilie und Ablenkung

Der Begriff „Biophilie“ beschreibt die Affinität von Menschen jeden Alters zu Natur, Leben und lebensähnlichen Prozessen, darunter ist auch ein starkes Interesse an Tieren eingeschlossen. Es geht in diesem Konzept um jegliche Art der Bezugnahme von Mensch zu Tier, was evolutionsbedingt und kulturgeschichtlich bis heute beim Menschen fest verankert ist (Kellert, Wilson 1995). Unter dem Biophilie-Effekt versteht man, dass schon allein die Anwesenheit von ruhigen, entspannten und ungefährlichen Tieren beruhigend auf Menschen wirkt und ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt (Julius et al. 2014: 24). Auf der Grundlage der Biophilie binden anwesende Tiere die Aufmerksamkeit von Menschen und können so auch zur Ablenkung von unangenehmen Lebenssituationen unterstützend sein, in denen Zustände von Angst, Schmerz oder Stress vorherrschen (Beet et al. 2021: 28).

Spiegelneurone

Als Spiegelneurone bezeichnet man ein reflexartiges System für Gruppensynchronisation und Stimmungsübertragung, das die Grundlage für Empathie darstellt. Spiegelneurone werden zum Beispiel aktiviert, wenn unser Gegenüber lacht oder weint. Es kommt dann zur „emotionalen Ansteckung“ (Rizzolatti, Craighero 2004). Spiegelneurone bilden vermutlich die Grundlage, sich in andere hineinversetzen zu können, also emotional empathisch zu sein und werden in der Mensch-Tier-Interaktion aktiviert. (Beetz et al. 2021: 30)

Bindung und Fürsorge

Die Transmission der erlernten (u.a. unsicher gebundenen) Bindungsmuster bei Kindern und Jugendlichen treten gegenüber Tieren nicht spontan auf wie z.B. gegenüber Pädagog*innen oder Therapeut*innen. Stattdessen bringen Menschen gegenüber Tieren eine große Offenheit mit, Bindungen einzugehen. So wird zum Beispiel viel Körperkontakt gesucht, was in zwischenmenschlichen Beziehungen ein Zeichen sicherer Bindung ist. Durch das Fehlen der Transmission unsicherer Bindungsmuster in der Tiergestützten Intervention, können Kinder und Jugendliche mit unsicherer Bindung effektiv von sozialer Unterstützung durch Tiere zur Stressregulation profitieren (Beetz et al. 2021: 35).

Das Fürsorgeverhaltenssystem bietet noch einen weiteren Erklärungsansatz zur positiven Wirkung von TGI. Fürsorgeverhalten entwickelt sich schon ab dem frühen Kindesalter und das erfolgreiche Zeigen und Ausgestalten von Fürsorge scheint laut Studien stressreduzierend und belohnend zu wirken, was wohl auch über die Aktivierung des Oxytocin-Systems funktioniert. Da gerade in therapeutischen und pädagogischen Settings die Rollen von Kind und Bindungsfigur nicht umgekehrt werden, bieten Tiere hier eine besondere Möglichkeit, um die positive Wirkung erfolgreichen Fürsorgeverhaltens zu nutzen (Stressreduktion beim Kind, Aktivierung des Oxytocin-Systems). Besonders Menschen, die häufig selbst Empfangende von sozialer Unterstützung und Fürsorge sind, können so die Rolle des Versorgenden übernehmen und dadurch, etwas Gutes für ein anderes Lebewesen zu tun, Selbstwirksamkeit erfahren (Beetz et al. 2021: 35f).

DU-Evidenz

Die DU-Evidenz beschreibt, dass wir Menschen in der Lage sind, eine andere Person/ ein anderes Wesen als DU wahrzunehmen. Durch Namensgebung, das Zuschreiben von Eigenschaften und Wesensmerkmalen sowie das Wahrnehmen und Respektieren der individuellen Bedürfnisse der Tiere geben wir den Tieren diese DU-Evidenz. Das Erleben der DU-Evidenz ist möglicherweise eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Empfinden von Empathie und Mitgefühl gegenüber anderen Lebewesen und kann von der Begegnung mit dem Tier auf andere Menschen übertragen werden. (Beetz et al. 2021: 36f)

Motivation und Verbesserung der Voraussetzungen für Lernerfolge

Die Studie von Wohlfarth et al. (2013) postuliert, dass Tiere vor allem implizite Motive und damit intrinsische Motivation ansprechen. Erfolgreiches und nachhaltiges Lernen kann nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden. Dazu braucht es ausreichend Konzentration, die Freiheit von Angst und Stress, eine positive Grundstimmung, Aufmerksamkeit und Motivation. All diese Faktoren können über die Interaktion mit Tieren gefördert werden. Damit verbunden können optimale Voraussetzungen in Therapie und Pädagogik geschaffen werden. Unter diesen Umständen können dann wiederum die sogenannten exekutiven Funktionen wie Impulskontrolle, Selbstreflexion, Motivation und Arbeitsgedächtnis optimal genutzt werden. Gerade in therapeutischen oder pädagogischen Settings stehen die jungen Menschen immer wieder unter Stress, möglicherweise auch Angst. Tiere können hier als soziale Katalysatoren das Vertrauen zur pädagogischen oder therapeutischen Fachkraft fördern und zu einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung beitragen. Tiere können also in der pädagogischen Arbeit Stresssysteme deaktivieren und Motivationssysteme aktivieren, können also in einem Setting gleichzeitig stressreduzierend und motivationsfördernd wirken. Die TGI kann also neue Lernerfahrungen erleichtern (Beetz et al. 2021: 39).

Schulhunde am Campus

Wenn Balou morgens zur „Arbeit“ kommt, erwarten ihn: Spiel, Spaß und jede Menge Streicheleinheiten. Denn der schwarze Labradorrüde ist nicht irgendein Hund, sondern ein ausgebildeter Schulhund. Am Campus setzen wir schon immer auf tiergestützte Pädagogik, denn der Klassenraum ist schon lange nicht mehr der einzige Ort der Wissensvermittlung. Mittlerweile gibt es viele Schulhunde, die bereits ausgebildet sind oder sich in Ausbildung befinden. Der Umgang mit den Vierbeinern fördert das soziale Lernen sowie die Empathiefähigkeit der Schülerinnen und Schüler, baut Ängste ab und steigert langfristig das Selbstwertgefühl. Das alles sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Lernen an der Schule gelingt. Rückmeldungen zeigen, dass die Kinder an „Hundetagen“ besonders motiviert zur Schule gehen. Und die Eltern sind begeistert, dass ihre Kinder Verantwortung für Balou und Co. übernehmen.