Wissenschaftliche Hintergründe der Mensch-Tier-Beziehung und zur Wirkung der Tiergestützten Pädagogik
Der professionelle Einsatz von verschiedenen Tierarten im therapeutischen und pädagogischen Kontext hat in den vergangenen Jahren an Relevanz und Häufigkeit gewonnen und so hat sich auch die Studienlage zu den Wirkmechanismen Tiergestützter Interventionen verbessert. Hier sollen einige grundlegende Effekte und Wirkweisen der Mensch-Tier-Interaktion überblicksmäßig dargestellt werden.
Soziale Effekte
Die positiven Effekte der Mensch-Tier-Interaktionen sind durch verschiedene Studien belegt. So wirken Tiere als sogenannte „soziale Katalysatoren“. Dabei kann der Kontakt mit oder die bloße Anwesenheit eines freundlichen, dem Menschen zugewandten Tieres die Kommunikation und Interaktion zwischen den Menschen in der Situation verbessern. Der Kontakt gestaltet sich freundlicher, es wird mehr gelächelt und über Positives kommuniziert. Auch die soziale Aufmerksamkeit gegenüber anderen Menschen wird durch Tiere verstärkt. In Schulsettings wurde außerdem die Reduktion von aggressivem Verhalten im Beisein eines Tieres nachgewiesen. Die Anwesenheit eines Tieres bei guter Bindung zur Bezugsperson dieses Tieres steigert auch das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen in diese Bezugsperson (Beetz et al. 2021: 25, 26).
Psychologische Effekte
Darüber hinaus kann die Anwesenheit von Tieren die menschliche Konzentration und Motivation fördern – neben dem sozialen Miteinander und Vertrauen ebenfalls wichtige Grundsteine in der pädagogischen Arbeit am Campus Klarenthal. Der Tierkontakt hebt die Stimmung, mildert Depressionen und reduziert Angst – gerade vor oder in stressauslösenden Situationen. Neuere Studien deuten sogar darauf hin, dass die Interaktion mit Tieren die Schmerzwahrnehmung verringert (Marcus et al., 2012). Auch finden sich bei Kindern, die mit Tieren Kontakt haben, höhere Empathiewerte (Hergovich et al., 2002).
Neurobiologische Effekte
Die Forschung zeigt, dass freundliche Tierkontakte positiv, also dämpfend auf die menschlichen Stress-Systeme wirken können. So sinken unter anderem Blutdruck, Herzfrequenz und die Konzentration des Stresshormons Kortisol. Das Oxytocin-System wird aktiviert, durch den Körperkontakt mit dem Tier wird vermehrt Oxytocin ausgeschüttet, das positiv und beruhigend auf den menschlichen Organismus wirkt (Beetz et al. 2021: 26; 31-32).
Biophilie und Ablenkung
Der Begriff „Biophilie“ beschreibt die Affinität von Menschen jeden Alters zu Natur, Leben und lebensähnlichen Prozessen, darunter ist auch ein starkes Interesse an Tieren eingeschlossen. Es geht in diesem Konzept um jegliche Art der Bezugnahme von Mensch zu Tier, was evolutionsbedingt und kulturgeschichtlich bis heute beim Menschen fest verankert ist (Kellert, Wilson 1995). Unter dem Biophilie-Effekt versteht man, dass schon allein die Anwesenheit von ruhigen, entspannten und ungefährlichen Tieren beruhigend auf Menschen wirkt und ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt (Julius et al. 2014: 24). Auf der Grundlage der Biophilie binden anwesende Tiere die Aufmerksamkeit von Menschen und können so auch zur Ablenkung von unangenehmen Lebenssituationen unterstützend sein, in denen Zustände von Angst, Schmerz oder Stress vorherrschen (Beet et al. 2021: 28).
Spiegelneurone
Als Spiegelneurone bezeichnet man ein reflexartiges System für Gruppensynchronisation und Stimmungsübertragung, das die Grundlage für Empathie darstellt. Spiegelneurone werden zum Beispiel aktiviert, wenn unser Gegenüber lacht oder weint. Es kommt dann zur „emotionalen Ansteckung“ (Rizzolatti, Craighero 2004). Spiegelneurone bilden vermutlich die Grundlage, sich in andere hineinversetzen zu können, also emotional empathisch zu sein und werden in der Mensch-Tier-Interaktion aktiviert. (Beetz et al. 2021: 30)
Bindung und Fürsorge
Die Transmission der erlernten (u.a. unsicher gebundenen) Bindungsmuster bei Kindern und Jugendlichen treten gegenüber Tieren nicht spontan auf wie z.B. gegenüber Pädagog*innen oder Therapeut*innen. Stattdessen bringen Menschen gegenüber Tieren eine große Offenheit mit, Bindungen einzugehen. So wird zum Beispiel viel Körperkontakt gesucht, was in zwischenmenschlichen Beziehungen ein Zeichen sicherer Bindung ist. Durch das Fehlen der Transmission unsicherer Bindungsmuster in der Tiergestützten Intervention, können Kinder und Jugendliche mit unsicherer Bindung effektiv von sozialer Unterstützung durch Tiere zur Stressregulation profitieren (Beetz et al. 2021: 35).
Das Fürsorgeverhaltenssystem bietet noch einen weiteren Erklärungsansatz zur positiven Wirkung von TGI. Fürsorgeverhalten entwickelt sich schon ab dem frühen Kindesalter und das erfolgreiche Zeigen und Ausgestalten von Fürsorge scheint laut Studien stressreduzierend und belohnend zu wirken, was wohl auch über die Aktivierung des Oxytocin-Systems funktioniert. Da gerade in therapeutischen und pädagogischen Settings die Rollen von Kind und Bindungsfigur nicht umgekehrt werden, bieten Tiere hier eine besondere Möglichkeit, um die positive Wirkung erfolgreichen Fürsorgeverhaltens zu nutzen (Stressreduktion beim Kind, Aktivierung des Oxytocin-Systems). Besonders Menschen, die häufig selbst Empfangende von sozialer Unterstützung und Fürsorge sind, können so die Rolle des Versorgenden übernehmen und dadurch, etwas Gutes für ein anderes Lebewesen zu tun, Selbstwirksamkeit erfahren (Beetz et al. 2021: 35f).
DU-Evidenz
Die DU-Evidenz beschreibt, dass wir Menschen in der Lage sind, eine andere Person/ ein anderes Wesen als DU wahrzunehmen. Durch Namensgebung, das Zuschreiben von Eigenschaften und Wesensmerkmalen sowie das Wahrnehmen und Respektieren der individuellen Bedürfnisse der Tiere geben wir den Tieren diese DU-Evidenz. Das Erleben der DU-Evidenz ist möglicherweise eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Empfinden von Empathie und Mitgefühl gegenüber anderen Lebewesen und kann von der Begegnung mit dem Tier auf andere Menschen übertragen werden. (Beetz et al. 2021: 36f)
Motivation und Verbesserung der Voraussetzungen für Lernerfolge
Die Studie von Wohlfarth et al. (2013) postuliert, dass Tiere vor allem implizite Motive und damit intrinsische Motivation ansprechen. Erfolgreiches und nachhaltiges Lernen kann nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden. Dazu braucht es ausreichend Konzentration, die Freiheit von Angst und Stress, eine positive Grundstimmung, Aufmerksamkeit und Motivation. All diese Faktoren können über die Interaktion mit Tieren gefördert werden. Damit verbunden können optimale Voraussetzungen in Therapie und Pädagogik geschaffen werden. Unter diesen Umständen können dann wiederum die sogenannten exekutiven Funktionen wie Impulskontrolle, Selbstreflexion, Motivation und Arbeitsgedächtnis optimal genutzt werden. Gerade in therapeutischen oder pädagogischen Settings stehen die jungen Menschen immer wieder unter Stress, möglicherweise auch Angst. Tiere können hier als soziale Katalysatoren das Vertrauen zur pädagogischen oder therapeutischen Fachkraft fördern und zu einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung beitragen. Tiere können also in der pädagogischen Arbeit Stresssysteme deaktivieren und Motivationssysteme aktivieren, können also in einem Setting gleichzeitig stressreduzierend und motivationsfördernd wirken. Die TGI kann also neue Lernerfahrungen erleichtern (Beetz et al. 2021: 39).